Die Glasindustrie von Haida und Steinschönau

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Mario
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Die Glasindustrie von Haida und Steinschönau

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Die Glasindustrie von Haida und Steinschönau

Fr. St. Aus Haida, im Oktober

Eine eigenthümliche Erscheinung mitten unter der Webe-Industrie des nördlichen Theiles des Leitmeritzer Kreises (Böhmen) und abseits den Stätten der Rohglas-Produktion bildet die Hohlglas-Veredlung und der Glashandel von Haida und Steinschönau sammt Umgebung. Zwei Glashütten, Schönfeld (Bezirk Warnsdorf) und Röhrsdorf (Bezirk Zwickau), welche demselben Eigenthümer gehörenund abwechselnd in Thätigkeit stehen, liefern jährlich kaum 4.000 Zentner weißes und farbiges Hohlglas zur Raffinirung; die weiteren zur Verarbeitung begehrten 64.000 Zentner Krystall- und Schleifglas werden theils von den Glashütten des Böhmerwaldes, theils aus jenen des südöstlichen Böhmens, somit auf eine Entfernung von 20-40 Meilen bezogen. Alle Arten dieser Hohlglasraffinirung – das Schleifen (ebener Flächen), das Kugeln (Schleifen unebener Flächen), das Schneiden (Graviren von vertieften matten Verzierungen), das Aetzen (Uebermalen mit durchsichtigen Einbrennfarben), das Malen mit Emailfarben und das Vergolden – bilden die fast ausschließliche Beschäftigung für die Haus-Industrie von mehr als 5.000 Familien, der Hälfte der Bewohner beider Bezirke. Denn, obgleich Weiber und Kinder nicht immer unmittelbar an der Scheibe oder als Handlanger und Gehilfen beschäftigt sind, vermitteln sie doch zumeist den Transport der rohen und veredelten Glaswaare vom und zum Glasverleger, Glashändler.
Die Glashändler, deren der Reichenberger Handelskammer-Bericht im Bezirke Böhmisch-Kamnitz 36, im Bezirk Haida 31 nachweiset, haben ihre Wohnsitze vorwiegend in Steinschönau und Haida aufgeschlagen. Sie bestellen das Rohglas auf den Glashütten, sie vertheilen dasselbe an die bei ihnen sich meldenden Schleifer, Schneider, Maler und Vergolder, beziehen es fertig von denselben gegen Vergütung des bedungenen Stücklohnes und disponiren nun darüber je nach Bestellung. Durch ihre Hände geht auch ein großer Theil des Verkehres mit ungeschliffenem Hohlglase, das als Sortimentswaare begehrt und beigepackt wird.
Die Entwicklung der Haidaer Glasraffinirung hat den Hauptantheil an der seit 20 Jahren beobachteten Zunahme des Exportes mittelfeiner Glaswaaren genommen. Während die Ausfuhr dieser Waarengattung im Durchschnitt der Jahre 1838-1847 kaum 25.000 Zoll-Zentner betragen hatte, war sie im Jahre 1856 auf 107.465, im Jahre 1857 auf 115.697 Zoll-Zentner gestiegen. Wenn gleich zugegeben werden muß, daß gerade die beiden letztgenannten Jahre besonders günstige Handelskonjunkturen im Glasgeschäfte aufzuweisen hatten und an obigen Ziffern auch die Spiegel- und Perlen-Industrie, dann die Glasquincaillerie-Produktion von Gablonz und Umgebung partizipirte, so sprechen doch diese Zahlen überzeugend für die rastlose, durch die neuerliche Konkurrenz geschliffener Belgischer Gläser gesteigerte Thätigkeit des Haidaer und Steinschönauer Glashandels.
Wie einerseits das weiße Schleifglas die Hauptmasse des verarbeiteten Rohstoffes bildet, wogegen Krystall und in der Masse gefärbte oder überfangene Gläser hier *) nur nebenbei raffinirt werden, besteht der überwiegende Theil der Arbeit im Schleifen und Kugeln weißer Gläser. Zu diesem Zweck stehen in Thätigkeit

im Bezirke Böhmisch-Kamnitz

Schelten - 40 Schleifzeuge, 150 Arbeiter
Steinschönau - 600 Schleifzeuge, 1.500 Arbeiter
Meistersdorf - 350 Schleifzeuge, 550 Arbeiter
Parchen - 250 Schleifzeuge, 460 Arbeiter
B. Kamnitz - 40 Schleifzeuge, 200 Arbeiter
Preschkau - 500 Schleifzeuge, 600 Arbeiter
Ulrichsthal - 100 Schleifzeuge, 250 Arbeiter


im Bezirke Haida

Haida - 150 Schleifzeuge, 600 Arbeiter
Blottendorf - 400 Schleifzeuge, 600 Arbeiter
Arnsdorf - 350 Schleifzeuge, 800 Arbeiter
Langenau - 560 Schleifzeuge, 800 Arbeiter
Falkenau - 400 Schleifzeuge, 600 Arbeiter
Lindenau - 340 Schleifzeuge, 500 Arbeiter
Kittlitz - 100 Schleifzeuge, 350 Arbeiter
Rodowitz - 60 Schleifzeuge, 120 Arbeiter
Bürgstein - 50 Schleifzeuge, 150 Arbeiter
Schaiba - 120 Schleifzeuge, 300 Arbeiter
Sonnenberg - 230 Schleifzeuge, 400 Arbeiter
Johannesdorf - 20 Schleifzeuge, 50 Arbeiter
Wellnitz - 30 Schleifzeuge, 70 Arbeiter


im Bez. Böhm. Leippa

Wolfersdorf - 420 Schleifzeuge, 800 Arbeiter


im Bez. Rumburg

Kreibitz - 40 Schleifzeuge, 120 Arbeiter

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zusammen 5.150 Schleifzeuge 9.970 Arbeiter


Nur die geringe Zahl dieser Schleifzeuge – für das Schleifen großer ebener Flächen – ist in Schleifmühlen aufgestellt, der Rest, für Schleifen kleiner Flächen, für Kugeln und Schneiden eingerichtet, wird mit dem Schwungrade in Bewegung gesetzt.
Weit geringer ist die Zahl der Maler, Aetzer und Vergolder, sie beschränkt sich in runder Summe auf 350, obgleich ihr täglicher Verdienst (50 fr. bis 2 fl.) jenen der Schleifer und Kugler (40-50 fr.) übersteigt und nur hinter jenem des Graveurs (50 fr. bis 3 fl.) zurückbleibt. Der durchschnittliche Taglohn der Gesellen und Gehilfen beträgt bei allen genannten Zweigen der Arbeit 15-36 fr., jener der Lehrlinge 10-20 fr.
Auf dieser Wohlfeilheit des Lohnes und auf der Theilung der Arbeit, hervorgegangen aus Massenproduktion und Ursache der Fertigkeit der Arbeiter, beruht die staunenswerthe Billigkeit der Haidaer Glaswaaren. Als ein Beispiel möge der Erzeugungspreis einer rubinfarbig geätzten, mit ebenen und krummen Schleifflächen und mit eingravirtem Blumenrand verzierten Sturzbouteille dienen; derselbe beträgt 2 fl. 1 fr., wovon 36 fr. auf das Rohglas, 3 fr. auf Schleiferlohn, 50 fr. für das Kugeln, 12 fr. für das Aetzen und 20 fr. für das Graviren entfallen.
Nicht ohne Grund wurde früher den Haidaer Glaswaaren der Vorwurf gemacht, daß die gravirten oder gemalten Verzierungen eben so ohne alle richtige Zeichnung als ohne Geschmack gewählt und ausgeführt wurden. Die Lehrlinge, ohne allen Unterricht im Zeichnen aus der Schule entlassen, lernten eben nur das, was die Gesellen zu graviren oder zu malen wußten, ohne im Stande zu sein, Zeichnungsmängel zu verbessern oder neue geschmackvolle Muster zu erfinden. Geniale Graveure, wenn sie auch auftauchten und künstlerische Leistungen zu Tage förderten, blieben eben nur Ausnahmen und wurden besonders gut bezahlt. Diesem tiefgefühlten Uebelstande ist durch die vor drei Jahren zu Steinschönau errichteten Zeichnenschule wesentlich abgeholfen; zu kurz ist noch die Zeit, um die schönen Früchte des wohlgeleiteten Zeichnen-Unterricht im Allgemeinen erkennen zu lassen. Ein Besuch dieser Schule aber, welche im abgelaufenen Jahre von mehr als 300 Schülern besucht wurde, worunter nicht bloss Lehrlinge und Gesellen, sondern auch manche Schleifmeister sich befanden, mit der Ausstellung der von den Schülern gelieferten Zeichnungen, läßt dem baldigen Umschwunge im Geschmacke der zur Anwendung kommenden Glasverzierungen mit vollständiger Sicherheit entgegensehen.
In neuester Zeit haben die Belgier begonnen, auf den ausländischen Märkten außer ihren gepreßten, auch mit geschliffenen Gläsern den Oesterreichischen (Haidaer) Glaswaaren entgegenzutreten. Begünstigt durch Dampfschleifereien und Massenerzeugung haben sie gelernt, eine eigenthümliche Gattung von ineinandergreifenden Facetten mit ebenen Flächen zu außerordentlich billigem Preise zu schleifen. Wenn gleich Haida auch heute noch diese Facon wohlfeiler herzustellen im Stande ist, so ist doch diese Thatsache der Grund, daß man bereits die Errichtung von Dampfschleifereien beabsichtigt.
Gleicherweise wird daran gedacht, durch Errichtung von Glashütten mit Braunkohlenfeuerung in nächster Nähe, wo vortrefflicher Quarz zu Gebote steht und der Bezug von Soda aus der nahen Aussiger Fabrik das Unternehmen begünstigt, dem bisherigen Uebelstande abzuhelfen, daß der Bezug des Rohglases aus entfernten Hütten nicht allein den Rohstoff vertheuert, sondern auch die Zeit, binnen welcher erhaltene Aufträge ausgeführt werden können, außerordentlich verlängert, was oft für die Vermehrung des Absatzes weit hinderlicher ist, als der höhere Rohglaspreis. Darum, und weil es leichter ist, Kohlen für Glashütten herbeizuschaffen, als die gesammte Hausindustrie von Haida und Steinschönau nach den Kohlendistrikten zu verpflanzen, wird allmälig bei zunehmender Konkurrenz der Belgier die Errichtung einer Kohlenbahn von Tetschen über Böhmisch-Kamnitz nach Warnsdorf für die Glasraffinir-Industrie dieser Gegend zur dringendsten Nothwendigkeit. Andererseits aber ist der Beitrag, welchen diese Industrie der projektirten Bahn an Frachtgütern zukommen läßt, keineswegs zu unterschätzen, wenn man bedenkt, daß außer der Kohle auch der Soda-Transport in großen Quantitäten der Bahn zuströmt, so wie auch die zur Ausfuhr nach Hamburg bestimmten Glaswaaren (im Durchschnitte jährlich 40.000 Zoll-Zentner) ohne Zweifel die Bahn benützen werden.


*) Die Raffinirung dieser Glassorten erfolgt zumeist in den mit den Glashütten verbundenen Schleifereien zu Neuwelt, Eleonorenhain, Adolphshütte, Deffernik, Silberberg, Klostermühl (Böhmen), Nagelberg (Oesterreich), Katharinenthal, Antonsthal (Ungarn) u. a.


Quelle: Wiener Zeitung vom 27.10.1858 (Seite 5)
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